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Kommentar der Woche
Die 1. Sitzung des neuen Gemeinderats am 16.9.2014 löste schon im Vorfeld große Spannung
und manche Erwartung aus. Würden die neuen Mitglieder des Gremiums den erhofften, frischen Wind wehen lassen?
Um es gleich vorwegzunehmen: Die Zuschauer in der Hagenschießhalle konnten die frische Brise im neu konstituierten Rat schon bald eindrucksvoll erleben. Endlich wurden kritische Fragen gestellt, wurde nachgefaßt, wenn der Vorsitzende es wieder einmal mit beschwichtigenden Erklärungen bewenden ließ. Freilich war dem Bürgermeister den ganzen Abend über eine spürbare Nervosität anzumerken, die in einigen Phasen sogar einen leicht aggressiven Unterton anklingen ließ.
Doch der Reihe nach! Zunächst erteilte der Bürgermeister vor allem den neuen Ratsmitgliedern eine Unterweisung in ihre Rechte und Pflichten, die ihnen die Gemeindeordnung zuweist. Leider vergaß er aber zu erwähnen, worin die wesentliche und grundsätzliche Aufgabe des Gemeinderats besteht, die sozusagen über dem gesamten Regelwerk schwebt: Die Vertretung der Bürger Wimsheims! Gerade diese hatte man im alten Gremium über weite Strecken ja schmerzlich vermißt, so daß aufmerksame Besucher der Gemeinderatssitzungen in der jüngsten Vergangenheit gar den Eindruck gewannen, Bürgervertretung sei eine Angelegenheit der eher leisen Töne und geschähe vorzugsweise im Verborgenen.
Mit der Wahl der beiden Bürgermeistervertreter setzte sich die Sitzung fort. Wer allerdings ein Zeichen kollegialen Entgegenkommens gegenüber den Neuen erwartet hatte, sah sich getäuscht. Selbst die klare Mehrheitssituation konnte die Vertreter des „alten“ Gremiums nicht dazu bringen, einem Kandidaten der „Novizen“ generös einen eigentlich unwesentlichen Stimmenanteil zuzuschanzen, was risikolos möglich gewesen wäre, da das Wahlverhalten ohnehin abgesprochen war. Überdies hätte die geheime Abstimmung es einem „Querdenker“ ermöglicht, selbständig zu handeln und aus der verabredeten Phalanx wenigstens für einen kurzen Moment auszubrechen. Der „Ausbrecher“ hätte in aller Ruhe und mit Süffisanz das sicher folgende Rätselraten um den Abtrünnigen beobachten können. Schade – wieder eine vertane Chance, selbständiges (und unabhängiges!) Denken und Handeln unter Beweis zu stellen. Und der Bürgermeister? Anstatt den neutralen, auf Ausgleich bedachten Vorsitzenden zu geben, indem er sich wenigstens bei der Wahl seiner Vertreter seiner Stimme enthalten hätte, mußte er offenbar seine Parteilichkeit noch besonders unterstreichen.
Die Besetzung der verschiedenen Ausschüsse war wohl von allen Mitgliedern des neuen Rats vorweg ausgehandelt worden und bedurfte lediglich der Bekanntgabe.
Die Beratung der ersten Tagesordnungspunkte ging in einer gewissen Einmütigkeit über die Bühne, wie sie bei unstrittigen Themen üblich und gewiß auch nicht überraschend ist. Nicht so beim TOP „Bauanträge“, speziell beim Bauantrag der Firma C. Hafner. Wie bereits in der Presse berichtet, plant Hafner die Errichtung eines stark vergrößerten Produktionsgebäudes für die Oberflächentechnik. Gegenüber dem seither angezeigten Baukörper soll dieser Anlagenteil um sage und schreibe 24 m in westliche Richtung wachsen. Vor dem Hintergrund der plangemäßen Gebäudebreite von ca. 37 m entspricht dieser Wert einer Steigerung der Gebäudegrundfläche um fast 900 m2. Der technische Fortschritt, so die Erklärung des Vorsitzenden, mache dies nötig und möglich; eine gerne und immer wieder verblüffende Aussage technischer Laien, wie sie auch vom Bürgermeister in mehr oder weniger gelungenen Ausflügen ins Populärwissenschaftliche gelegentlich offeriert wird. Im diskutierten Fall hätte sich dieser allerdings vorteilhafterweise vorher fachmännischen Rat zur Sache besorgen sollen. GR Lehmann jedenfalls zeigte sich über das angeführte Beispiel, daß durch die Steigerung der Abmessungen moderner Kraftfahrzeuge ein Minderverbrauch an Treibstoff erzielt würde, mit Recht irritiert. Würden die Fahrzeugentwickler dieser Idee folgen, müßten sie den Fiat 500 anstatt mit dem überkommenen 500 cm³-Motor heute mit einem 5l-Motor ausrüsten. Doch zurück zum Bauantrag Hafner.
Vor kurzem erst hat Hafner mit dem konkreten Bau seiner neuen Firmenzentrale begonnen, um nun eine derart erhebliche Vergrößerung eines Produktionsgebäudes vorzunehmen. Haben sich die Geschäftsschwerpunkte in kurzer Frist so drastisch geändert, daß Hafner sich zu dieser auch kostenseitig umfänglichen Änderung genötigt sieht? Für die Vertreter des alten Gemeinderats bleibt offenbar „alles im grünen Bereich“ – kein Diskussionsbedarf, keine Fragen, keine Zweifel. Die Bauanfrage bewegt sich ja im bereits genehmigten Rahmen, diente nur der Bekanntgabe, eine Entscheidung war nicht nötig. Interessant der mehr oder weniger einleuchtende Erklärungsversuch des Vorsitzenden: Der technische Fortschritt mache es möglich, die Umlaufmenge des zum galvanischen Beschichten benötigten Gefahrstoffes von ca. 12 m³ auf ca. 9 m³ zu senken, allerdings – wie erwähnt – bei entsprechend gesteigertem Flächenbedarf. Jeder erklärt die Dinge halt so, wie er sie selbst zu verstehen glaubt.
Wer etwas Ahnung hat von technischen Planungsabläufen, kommt schon nach kurzer Überlegung auf einen Zeithorizont, der zeigt, auf welche Weise der Wimsheimer Rat in der Vergangenheit von den Planungsprofis getäuscht oder – plastisch ausgedrückt – über den Tisch gezogen worden ist. Dem technisch Versierten ist klar, daß der reinen Bauplanung eine ganze Kette komplexer Detailplanungen im Bereich Anlagenbau, Material- und Stofftransport, Prozeßregelung und -überwachung bis hin zum Vorrichtungs- und Maschinenlayout, vorausgegangen sein muß, in die vor dem Hintergrund der heute üblichen Fertigungstiefe viele Spezialunternehmen und Ingenieurbüros involviert waren und sind. So etwas entsteht nicht eben mal in Wochenfrist, sondern nimmt schnell ein Jahr und mehr in Anspruch. Denn wenn in der Planung geschlampt wird, kostet das im praktischen Betrieb viel Geld und steigert das Risiko von Betriebsstörungen. Dies gilt umso mehr, wenn man technisches Neuland betritt und sich, was Hafner gerne für sich in Anspruch nimmt, technologisch an vorderster Front bewegt. Im Klartext: C. Hafner wußte lange vor Baubeginn, daß die ersten Baupläne zumindest für den Bereich Galvanotechnik deutlich zu klein dimensioniert waren. Der im nun „angezeigten“ erweiterten Ausbauzustand wirklich riesige Gebäudekomplex hätte im ersten Projektschritt die Räte (und das gemeine Volk) möglicherweise so sehr erschreckt, daß verstärkt Widerstände zu erwarten gewesen wären. Also besann man sich auf die nachträglich oft diskutierte, ingesamt aber erfolgreiche „Schornsteintaktik“ des Weglassens kritischer Gebäudeteile. Verträglichkeit ist auch eine Sache der Dosis, und kleine Dosen werden eher akzeptiert als große. Diese Vorgehensweise ist auch als „Salamitaktik“ bekannt und sehr erprobt. Das beredte Schweigen der „alten“ Ratsmitglieder konnte die Zuhörerschaft am 16.9.2014 selbst dann stutzig machen, wenn sie diesbezüglich Etliches gewöhnt ist. Man darf gespannt sein, welche Überraschungen uns C. Hafner im weiteren Fortgang der Bautätigkeit noch bescheren wird, und wie der Gemeinderat darauf reagiert.
Eine Episode am Ende des öffentlichen Sitzungsteils mag indessen die Stimmung im Gremium, wohl aber auch den Seelenzustand des Vorsitzenden erhellen: Vertreter der anwesenden Presse wollten rasch noch ein Gruppenbild der fünf neuen Gemeinderäte aufnehmen, wie sie es andernorts bereits praktiziert hatten. Der Bürgermeister ließ dies jedoch nicht zu und düpierte auf diese Weise die der Gemeinde seither wohlgesonnenen Journalisten. Höhepunkt der Benehmenskultur Herrn Weisbrichs war an diesem Abend jedoch die stillschweigende Verlegung des Sitzungsortes in ein Nebenzimmer, ohne den Neuen davon Kenntnis zu geben. Die mußten zunächst etwas rat- und orientierungslos draußen in der Halle verbleiben, bis der 1. Bürgermeisterstellvertreter, Herr Widmann, die Situation entschärfte, indem er die neuen Kollegen in den Sitzungsraum führte.
Als ausgesprochen erhellend erwies sich das am folgenden Tage in der PZ abgedruckte Photo. Es zeigte einen strahlenden Bürgermeister Weisbrich, flankiert durch die beiden nicht ganz so strahlenden, „alten“ und neuen Stellvertreter. Unsere westlichen Nachbarn pflegen in solchem Fall zu sagen: „Ein Schuft, der Böses dabei denkt!“
Dem aufmerksamen Beobachter stellen sich aber ganz andere Fragen:
Wie stellt sich Bürgermeister Weisbrich in Zukunft die Repräsentation der gesamten Gemeinde Wimsheim vor, und wie will er verlorenes Vertrauen zurückgewinnen? Ist ihm an praktizierter Bürgerbeteiligung gelegen, und will er deren positive Wirkung für den Ortsfrieden nützen? Wenn ja, dann sollte er die neue Ratszusammensetzung als Chance ergreifen und auf die Neuen unvoreingenommen zugehen – zum eigenen Nutzen und zum Wohle der Gemeinde.
20.09.2014 / Prof. Dr. Wolfgang Jentner